Alle wollen die Öffentlichkeit einbinden, Entscheidungen sollen nur «unter Einbezug des Volkes« getroffen werden, und alle möchten mitentscheiden. Wie unterscheidet sich echte Partizipation von einer Alibiübung zur Legitimation von Entscheidungen? Was für Formate gibt es in Liechtenstein bereits, welche Formate könnte man noch umsetzen? Nach der offiziellen Diskussion im Plenum lädt die Karta-Bar wie immer zum Verweilen und bei Lust und Laune in kleineren Gruppen zum Weiterdiskutieren ein. Als wirksames Mittel gegen das kühle Novemberwetter wird dieses Mal neben Mausis Glühwein DJ Flamingo für den nötigen Schwung sorgen.
Input-Referate: Maria Kaiser, Vorsteherin Ruggell; Martin Mackowitz, Uni Liechtenstein; Christian Wagner, FH Graubünden
«Partizipation muss neue Wege gehen. Verschiedene Leute im Dorf muss ich natürlich im Boot haben. Es gibt in so einem Dorf immer Leute, wenn die dabei sind, geht es leichter und wenn sie dagegen sind, geht es weniger leicht…»

«Umfragen sind ein Bereich der Partizipation. Wichtig ist allerdings, was nachher damit passiert. Von der Gemeinde aus haben wir nach der Umfrage eine Veranstaltung gemacht, wo wir all die, die involviert waren, auch auf der Bühne hatten. Die Leute wurden eingeladen, mitzudiskutieren und sich einzubringen, was meiner Meinung nach auch sehr gut geklappt hat. Für mich war es in diesem Sinne Partizipation, weil ich zuerst die Umfragen durchklicken konnte, aber nachher auch dort war und mitreden konnte. Im Anschluss haben auch noch sehr gute Gespräche stattgefunden und man hat einfach gemerkt: Das Bedürfnis, mitzureden, Ideen zu geben und konkret zu werden ist da.»

«Als wir hier gesessen sind und dir als Vorsteher und den Gemeinderäten Fragen stellen konnten, habe ich erlebt, wie wichtig es ist, dass man versteht, warum Entscheidungen getroffen werden. Man weiss es manchmal einfach nicht. Man hätte schon Ideen, aber weiss nicht, wo anbringen und es wird anders gemacht, aber dann weiss man nicht warum nicht oder warum schon. Wenn man aber versteht, warum Entscheide getroffen werden, hat man eine positive Grundeinstellung und das macht es schlussendlich auch aus, dass man Lust hat, sich einzubringen. Das war für mich ein Erlebnis – ich weiss nicht, warum ich es vorher nicht verstanden habe, ich habe ja Zeitung gelesen.»

«Du sprichst natürlich einen der wichtigsten Punkte an. Und das ist die Kommunikation, wie sag ich’s dem Kinde? Da stehen wir manchmal wirklich vor einem Rätsel. Sehr vereinfacht gesagt: Jetzt hat man etwas überall kommuniziert, Informationsveranstaltungen gemacht usw. und drei Wochen später hast du das Gefühl, kein Mensch weiss auch nur annähernd, wovon man redet. Und dort sind wir für Vorschläge, wie man es besser machen kann, sehr offen. Aber ich weiss auch nicht, ob der Mensch heute in dieser Flut, die jeden Tag auf ihn hineinprasselt, überhaupt noch in der Lage ist, gewisse Sachen irgendwo herauszufiltern…»

«Du hast am Anfang gefragt, ob Partizipation eine Alibi-Übung sei. Aus meiner Sicht ist ganz klar zu sagen, dass es keine Alibi-Übung ist. Diese Runde ist freiwillig da und es gibt sicher Schöneres, als heute Abend bei dieser Kälte hier zu sitzen. Der Punkt ist: Ihr kommt auch zu ganz anderen Veranstaltungen, wenn euch das Thema einigermassen interessiert. Aber ein Grossteil der Leute, die nachher irgendwann entscheiden dürfen, ob ein Projekt umgesetzt wird oder nicht, bringt dieses Interesse leider nicht mit. Und dann heisst es irgendwann an einem Küchentisch: ‹Das ist Blödsinn, das bringt mir überhaupt nichts.› Und dann ist ein Nein in der Urne. Das ist eine unheimliche Schwierigkeit, über die ich mir oft Gedanken mache. Ein Mediencoach hat mir einmal gesagt, dass man als Sender eigentlich dafür verantwortlich ist, dass deine Botschaft beim Empfänger ankommt. Aber wenn du auf keine Art und Weise zum Empfänger durchdringen kannst, nicht über eine Zeitung, nicht über das Fernsehen oder sonst irgendwie, macht es das schwierig und herausfordernd, einen Prozess weiterzubringen. In so einem Fall ist vielleicht eine Mischung zwischen Partizipation und Umfrage, um die Leute auf etwas zu sensibilisieren, gar nicht das Dümmste.»

«Früher haben sie vielleicht einfach etwas gemacht. Wenn einer gesagt hat, wir brauchen jetzt eine Umfahrungsstrasse, dann hat man einfach eine Umfahrungsstrasse gebaut und fertig. Das geht heute nicht mehr, und das ist auch gut – wenn man die Leute mitnehmen kann. Aber es liegt schon auch in der Verantwortung des Einzelnen mitzumachen.»

«Ich fand es beim dritten Vortrag interessant, dass die Kinder die Diskussion in die Familien gebracht haben. Das ist doch gigantisch: 800 Botschafterinnen und Botschafter, die das Thema Dorfzentrum Zuhause auf den Küchentisch gelegt haben. Damit ist bereits eine riesige Hürde überwunden. Auch wenn die Vorschläge der Kinder natürlich nicht alle umgesetzt werden können: überhaupt einmal diesen Diskussionsraum über Kanäle zu öffnen, die man über Medien nicht hat, ist eine spannende Strategie.»

«Die wenigen, die etwas schlecht finden, rufen oft relativ laut. Von den vielen, die etwas vielleicht befürworten, hört man nichts. Dadurch ergibt sich oft ein ganz falsches Bild. Durch das Involvieren der Kinder konnte man die Diskussion in Mels wirklich breit in das Dorf bringen.»

«Wichtig war, dass sich diese Kinder berücksichtigt fühlten. Natürlich kam bald die Frage: Passiert jetzt auch etwas? Diese klare Äusserung, dass eine ganz deutliche Mehrzahl der Kinder wollte, dass der Verkehr auf diesem Dorfplatz weniger wird und es jetzt wirklich zu einer Begegnungszone, nicht Tempo 30, sondern wirklich Tempo 20 geführt hat, hätte sich davor niemand träumen lassen.»

«In der Gemeinde versuchen wir, Kinder grundsätzlich in raumplanerische Themen mit einzubeziehen. Ein Grund dafür ist sicher, dass dadurch eine gewisse Breitenwirkung entfaltet werden kann und durch die Kinder auch die Eltern und Grosseltern einbezogen werden. Das weiss man ja: Wo Kinder sind, sind immer ein Haufen Leute. Und wo Kinder eine Aufführung machen, kommen Eltern, Grosseltern, Gotta, Götti, alle. Über Emotionen, die Kinder wecken können, kann man Leute manchmal viel besser abholen. Und das ist, denke ich, bei solchen Themen, die die breite Bevölkerung und die  nächste Generation so grundlegend betreffen, eine grosse Chance.»

«Ein Kind hat z.B. bei einem Workshop gesagt: ‹Ich habe einen Neni, der unbedingt in ein Altersheim sollte. Und in Ruggell haben wir keines, das ist doch ein Quatsch! Wenn wir eines hätten, könnte ich ihn nach der Schule besuchen.› Da sieht man schon, dass Kinder eigentlich zu allen Themen etwas zu sagen haben.»

«Die Herausforderung ist, dass man eben die Kreise erreicht, die sich normalerweise nicht engagieren und auch nicht abstimmen und keine Fragebogen ausfüllen. Die sich aber mobilisieren lassen, wenn es dann eine brenzlige Abstimmung gibt. Die muss man rechtzeitig erreichen, wenn es kritisch ist. In der Abstimmung von Fläsch, wo es um die Ortsplanung ging, erreichten wir beispielsweise eine Stimmbeteiligung von über 80%. Dabei habe ich noch nie so viele Rollstühle in einem Abstimmungslokal gesehen wie dort. Also dort ist wirklich jeder hingefahren worden, der noch irgendwie stimmberechtigt war.»

«Oft sehe ich das Hauptproblem darin, dass die Leute nicht verstehen, was man eigentlich will oder macht. Oft sind Pläne oder gewisse Erklärungen sehr täuschend und die Leute können sich nicht viel darunter vorstellen. Ich glaube, es würde helfen, wenn man einen temporären Raum aufspannt und am eigenen Leib erfahrbar macht, wie es sich anfühlen würde, einen Ort ohne Konsumzwang auf der Markplatzgarage zu haben. Nicht zu überlegen, sondern zu erfahren, was es für einen verändern würde, wenn es einen solchen Ort in Vaduz gäbe. Das sind Hilfestellungen, die verhältnismässig wenig kosten und einem Kind oder einer Person, die sich sonst mit Pläne lesen schwer tut, Möglichkeiten viel zugänglicher macht.»