Was macht einen Haufen Häuser zum Dorf?
Woher kommt dieses «Bindegewebe«, das aus dem Skelett der Baukörper einen belebten Organismus werden lässt? Anhand unterschiedlicher Beispiele hören wir, wie Menschen, Institutionen und Vereine Schaan Leben eingehaucht haben und wie und wieso sie das auch weiterhin tun. Diese reichen vom Gemeindeprojekt «Schaan Wohin?« der 90er-Jahre, über die Fasnacht von heute bis hin zu Ideen für die Zukunft.
Anschliessend wollen wir von dir wissen, unter welchen Umständen du dich im Dorf wohl fühlst, und wann eben nicht. Bräuchte es dazu mehr Grün oder Wasser? Yoga für alle oder Hochbeete mit frischen Kräutern und Mausis’ Mojitobar auf dem Lindaplatz? Mehr Tante-Emma-Läden, Vereinshäuser oder gemütliche Cafés? Oder ist eh alles da und muss sich nur noch entwickeln? Oder ist es gar schon zu viel des Guten, und Zeit für Beruhigung? Nach der gemeinsamen Diskussion lassen wir den Abend und das Jahr gemütlich bei einem Apéro ausklingen.
«Aus meiner Sicht hat sich das Dorf sehr gut und sehr positiv entwickelt. Lange haben wir mit den Randständigen, entschuldige, mit den ‹Denner-Pennern› etwas Mühe gehabt. Das hat sich aber mittlerweile auch stark beruhigt, nachdem die Gemeinde dort aktiv geworden ist. Mein Ziel war es, einen Treffpunkt für jung und alt, Überhose wie Bankdirektor, zu schaffen. Das ist mir bis jetzt gelungen und ich hoffe, es geht so weiter.»

«Ich glaube, es wäre auch das Literaturhaus in dieser neuen Kulturecke, die jetzt am entstehen ist, nicht möglich, wenn nicht von zwei oder drei Seiten wirklich Aufgeschlossenheit, Interesse und Elan da gewesen wären. Für so etwas wie diese Kulturecke, wo das Kino, die Buchhandlung und mein Antiquariat drinnen sind, braucht es zuerst einmal einen aufgeschlossenen Bauherrn. Den haben wir in Noldi Frick gefunden, der das von Anfang an gewollt hat.»

«Als wir erfahren haben, dass dort allenfalls ein Raum zur Verfügung steht, habe ich beim Vorsteher angeklopft. Und es ist mir noch nicht so oft passiert, dass ich so offene Türen eingerannt bin. Er hat gesagt, er wolle ein Dorfzentrum, das mittendrin Leben hat, wirklich einen Umschlagplatz, wo etwas passiert. Das hat uns sehr ermutigt. Auch bei der Kulturkommission haben wir offene Türen eingerannt und sie haben uns unterstützt.»

«Mir ist aufgefallen, dass wir ein riesiges Angebot an öffentlichem Raum geschaffen worden ist. Alles ist sehr grosszügig. Dabei hat sich die Frage aufgedrängt, wie wir diese noch-Leere zu füllen mit Geschichten. Ich hatte nie Angst, dass Schaan verstädtert – ich hatte mehr Angst, dass Schaan vervorstädtert, also zu einem langweiligen, funktionalen, austauschbaren Ort wird.»

«Früher hat man sich im Dorf gekannt. Zu jedem kannte man noch irgendeine Geschichte, man wusste über einander Bescheid. Wenn ich mit älteren Leuten redete, konnten sie oft nicht verstehen, dass ich jemanden nicht kannte – das war so wie eine Vorstufe des Intranet. Dann ist mir aufgefallen, dass das fehlt und schlichtweg nicht mehr existiert. Ich fand, was eigentlich fehlt, ist die Geschichte von Schaan. Geschichte nicht im Sinne von Historie, sondern von Narrativen. Das hat mich zur Idee gebracht, eine Art Fernsehshow-Format von Schaaner für Schaaner.»

«Witzigerweise war mein allererster Gast Mausi Marroni, weil er schon damals das neue Epizentrum von Schaan war. Er hat es geschafft, dass aus diesem Parkplatz mit Kunstwerk wirklich ein Ort geworden ist. Das konnte man auch nicht verordnen und sagen, der Werkhof sei jetzt zuständig, dass hier jeden Abend Marroni verkauft werden. Es muss eine Persönlichkeit sein, zu der man gerne geht. Und so ist die Seele von Schaan jetzt ein Triesenberger, aber in einem sehr guten Sinn. Und auch das finde ich in Schaan cool, dass es nicht dieser Dünkel-Lokalpatriotismus ist.»

«Anno 52 war die Gemeinde noch nicht so reich. Der Fussballclub brauchte neue Netze und organisierte damals den ersten Fastnachtsumzug in Schaan. Sie hatten einen relativ grossen Erfolg. Der am Ende abgerechnete Reinerlös betrug 412 Franken, einige Schillinge und sechs Hosenknöpfe. Wir von der Narrenzunft organisieren den Umzug jetzt seit 65. Nach Feldkirch haben wir heute den grössten Umzug in der Region und die Gruppen kommen teilweise jedes Jahr, gewisse von weit her. Schaan konnte seinen Status als Fasnachtshochburg über die Jahre gut ausbauen.»

«Für uns von der Narrenzunft war die Entwicklung von Schaan hervorragend. Wir haben immer mehr schönere Plätze bekommen, wo wir Musik spielen können oder etwas stattfinden kann.»

«Was wirklich das A und O für mich ist, sind die Vereine. Wir haben über 50 Vereine in Schaan, die extrem viel zum Dorfleben beitragen. Bei den meisten Veranstaltungen sind sie mit im Boot, was, denke ich, viel ausmacht. Wenn Vereine ihre Mitglieder zu Veranstaltungen mitbringen und zusätzlich noch Familienangehörige kommen, dann läuft es im Dorf. Das ist ein ganz grosser Unterschied zu anderen Gemeinden, wo irgendwelche Event-Firmen die Anlässe organisieren und nicht die Vereine. Und darum habe ich das Gefühl, dass es bei uns auch so gut läuft.»

«Ein Dorf muss farbig sein und leben. Ich fände es schön, wenn es einmal so bunt wie auf dieser Karte aussieht. Darum hat es mich auch gefreut, als ich in der Zeitung von diesem neuen Projekt ‹Horizont› von der Flüchtlingshilfe und dem Verein für Menschenrechte gelesen habe, wo man Menschen mit Migrationshintergrund mehr ins Boot holt. Ein buntes Dorf heisst für mich nicht nur, dass man immer von grün redet, sondern wirklich von Leben und einer Vielfalt von Menschen.»

«Ich finde, dass das Kino und das Literaturhaus eine extreme Bereicherung für das Dorf sind. Dass man kulturelle Möglichkeiten hat und sie mitten im Dorf gut erreichbar sind, finde ich toll.»

«Was mir etwas fehlt, wäre ein alternatives Café oder eine alternative Bar. Ich schätze auch das Café Wanger oder so, nur hat es grad in Triesen ein temporäres Café gegeben, das als Zwischennutzung recht unkompliziert mit ein paar Holzplatten gemacht wurde. An so einem Ort würde ich mich recht wohl fühlen. Das würde für mich das Dorf als Lebensraum aufwerten.»

«Mir fehlt das Trüble. Andis Bunker ist auch nur noch selten offen. Das Beizensterben in Schaan finde ich schon langsam bedenklich. Wir haben in Schaan in letzter Zeit einige Beizen verloren. Eine Alternative wie die Zwischennutzung beim Sonnenmarkt in Triesen könnte ich mir gut vorstellen. Im ehemaligen Café Risch könnte man so etwas installieren. Einfach das Beizenleben wieder etwas mehr ins Dorf hereinbringen. Ich hoffe, dass wir irgendwann wieder so ein traditionelles Gasthaus mit einer Atmosphäre bekommen, wie es sie früher im Rössle, in der Linde oder im Café Risch gegeben hat.»

«Ein Punkt, an dem ich sehr an Dorfleben denke, ist die alte Holztheke der Bäckerei Wanger. Als Kind, ich habe wahrscheinlich noch nicht einmal über die Theke blicken können, habe ich dort rechnen gelernt. Das finde ich so ein kleiner Treffpunkt, wo es schön ist, dass es ihn in dieser Form noch gibt.»

«Ich finde, im Süden hat sich das Dorf mit Kino, Literaturhaus und den Plätzen sehr positiv entwickelt. Im Innersten des Kreisels müsste man sicher aufpassen, was da passiert. Hier müsste man darauf achten, dass nicht mehr zu viele Häuser der Wirtschaft und ähnliche dazu kommen, die den Raum überhaupt nicht beleben.»

«Was ich etwas schade finde, sind diese kalten Bauten aus Beton und Glas. Wenn ich in eine Stadt gehe, gehe ich gerne in die Altstadt, weil es dort schön ist. Diese Angst habe ich etwas: dass wir uns immer mehr zu einem leblosen Raum entwickeln. Und diese Atmosphäre kannst du, glaube ich, irgendwann auch mit Bäumen und Leuten nicht mehr retten. Da würde ich mir einfach eine etwas freundlichere Architektur wünschen.

«Als Gegenmittel zur Kälte der neuen Baukörper könnte man die Schöpfe etwas kultivieren. Es gibt einige schöne Schöpfe in Schaan, wo man Provisorien zulassen könnte, ohne jetzt eine durchdesignte Lösung anzustreben. Den grossen Schopf beim Bahnhof könnte ich mir zum Beispiel sehr gut als Brockenhaus vorstellen.»

«Ich finde es immer sehr spannend, wie sich die Strassen und die Atmosphäre verändern, wenn sie einmal für eine Veranstaltung gesperrt werden. Du läufst durch, triffst Leute, redest mit einander – wenn es irgendwie geht fände ich hier: Je mehr, desto besser. Das macht wirklich viel mit der Atmosphäre und dem Lebensgefühl im Dorf.»

«Wenn man das anschaut, konzentriert sich alles sehr stark auf das Zentrum. Irgendwo ist das gut, aber ich frage mich, ob wir dann nicht im Zentrum etwas Belebtes hinbekommen, aber es rund herum wie Glattbach oder sonst eine Agglomeration aussieht. Man kann nicht 6000 Leute kennen, das schafft kein Mensch. Aber man kann vielleicht 200 bis 300 kennen. Heute kennen wir oft unsere Nachbarn nicht mehr. Wenn in den Quartieren etwas stattfinden könnte, könnte man der Anonymität in den Aussenbereichen damit allenfalls etwas entgegenwirken. An Orten wie Kindergärten oder Schulen funktioniert das oft schon zu einem gewissen Grad und könnte mit wenig Aufwand begünstigt werden.»

«Ich finde, wir sollten aufpassen, dass wir nicht zu sehr einer Bestell-Mentalität verfallen. Wenn die Gemeinde tut, was sie kann, nämlich diesen öffentlichen Raum, über den sie bestimmen kann, anbietet und sagt: ‹Macht!›, finde ich das toll. Wenn man zurück denkt, was in Schaan in den 30er-Jahren mit bescheidenen Mitteln alles gelaufen ist, wirkt das zumindest auf mich sehr inspirierend. Diese Eigeninitiative halte ich für sehr wertvoll und wichtig für ein lebendiges Dorf.»