Die Bahn
1872 wurde Liechtenstein nach längerem Ringen ans internationale Eisenbahnnetz angeschlossen. Stimmen nach einer Erweiterung der Gleise durch das Oberland liessen nicht lange auf sich warten - bis heute bekanntlich mit wenig Erfolg.
Jüngst brachte besonders VCL durch seine Studie zur Oberlandbahn den Zug zurück aufs Tapet. Was brächte uns ein Zuganschluss von Vaduz, Triesen und Balzers? Welche Alternativen haben wir, dem steigenden Verkehrsaufkommen zu begegnen? Wo gäbe es überhaupt noch Platz für die Schienen und was müsste dafür weichen? Wie würde sich eine solche Bahn auf unsere Landschaft und Mobilität auswirken? Was wären die Kosten und unter welchen Umständen würdest du auf den Zug aufspringen?
Input-Referate: Georg Sele, VCL; Jürgen Frick, LIEmobil; Herbert Elkuch, Landtagsabgeordneter
«In den letzten Jahrzehnten haben sich die Pendler von rund 3’000 auf derzeit täglich über 20’000 vervielfacht. Ein anderes Bild zeigt sich beim Blick auf unsere Verkehrsinfrastruktur, die wir grosso modo in den 60er-Jahren fertiggebaut haben. Seither wurde abgesehen von einer Umfahrung in Balzers und einem Industriezubringer in Schaan weder im Bereich Strassen- noch im Schienenverkehr etwas Nennenswertes gebaut. Dass wir das einmal büssen werden, liegt auf der Hand.»
«Arbeitskollegen aus Vorarlberg haben mir erzählt, dass sie aufgrund fehlender Parkmöglichkeiten beim Feldkircher Bahnhof schon nach Feldkirch auf den Bus angewiesen wären. Wenn sie in Schaan nachher wieder mit dem Bus zum Arbeitsplatz fahren, bräuchten sie für ihren eigentlich kurzen Arbeitsweg von einer halben Stunde schnell eineinhalb Stunden.»
«Ich glaube, dass wir einfach versuchen müssen, den öffentlichen Verkehr zu stärken, aber auf der anderen Seite auch den Individualverkehr an neuralgischen Punkten mit der notwendigen Erweiterungen ausbauen müssen.»
«Ich wohne in Schaan neben dem Bahnhof. Als ich letztens abends um viertel vor sechs dort vorbeigegangen bin, habe ich gestaunt: Sicher 60 Leute haben dort auf den Zug gewartet. Vor 20 Jahren gab es das noch nicht, damals standen dort 2 bis 3 Waldorfschüler und vielleicht sonst noch einer dort, sonst kein Mensch. Deshalb denke ich, dass durchaus ein Bedürfnis da wäre, diesen Zug zu benutzen.»
«Einer meiner Kollegen hat jetzt ein Jahr lang versucht, mit dem ÖV von Rorschach nach Bendern zur Arbeit zu kommen. Der einzige Grund, warum er damit aufgehört hat, ist wirklich, dass er einfach die Zugverbindung in Buchs immer verpasst hat. Er wäre liebend gern mit dem ÖV gekommen. Für ihn ist es billiger und mein Arbeitgeber unterstützt das auch. Das Bedürfnis wäre also durchaus da – aber zu den gegebenen Umständen zwingt man die Leute fast zurück auf die Strasse: Wenn du regelmässig deinen Anschluss verpasst und nachher eine Stunde warten musst, ist das nachvollziehbarerweise ein KO-Kriterium.»
«Ich finde, dass die Frage ob S-Bahn ja oder nein auch eine Frage ist, was zuerst da ist: Huhn oder Ei? Sämtliche Entwicklungen in der Schweiz zeigen: Wenn der ÖV attraktiv ist, steigen die Leute auch um. Und die Busse der LieMobil werden nicht attraktiver, wenn noch mehr Autos da sind, solange es keine extra-Busspur gibt. Dahingehend bringt mir das auch nichts, wenn die Busse noch schöner aussehen oder noch länger sind, solange sie genau gleich im Stau stehen. Und die einzige Alternative dazu ist tatsächlich die S-Bahn.»
«Ob die S-Bahn jetzt des Rätsels Lösung sei, wage ich zu bezweifeln. Aber wenn wir verkehrstechnisch wirklich etwas erreichen wollen, können wir sicher nicht nur auf ein Verkehrsmittel setzen. Meines Erachtens müssten wir das Eine tun, ohne das Andere dabei zu lassen.»
«Unser Problem ist, dass wir den Platz für breitere Strassen oder noch eine Busspur schlichtweg nicht haben. Wenn wir verdichten wollen, ob es zum Arbeiten oder zum Wohnen sei, heisst das auch mehr Leute. Nur der Platz wird nicht mehr. Wenn wir weiter wachsen wollen, müssen wir neue Lösungen finden. Um eine S-Bahn wird man da meines Erachtens nicht rumkommen. Und in diese Herausforderung, dass der Platz für neue Strassen an neuralgischen Stellen fehlt, teilt Liechtenstein durchaus mit Zürich.»
«Schaan wäre perfekt gewesen für eine Busspur. Wieso ist bei der neuen Verkehrsführung keine Busspur gebaut worden? In Bendern genau die gleiche Thematik: die Busse stehen im Stau, daneben baut man riesige Trottoirs, aber eine Busspur macht man keine. Das sind doch genau die neuralgischen Punkte, die den öffentlichen Verkehr eigentlich stärken würden. Der Bus wäre hier meines Erachtens eine sehr gute Option, vorausgesetzt man würde da entsprechend planen und bauen.»
«In Zürich hat der ÖV bedingungslosen Vortritt. Wenn man irgendwo mit dem Auto hineinwill, ist der Parkplatz enorm teuer. Parkplätze gibt es kaum und mit dem Auto kommst du nicht voran. Mit dem ÖV kommst du voran, selbst zu Stosszeiten. Ich habe selbst jahrelang in Zürich gewohnt. Die stehen nicht so herum wie die Busse von der LIEmobil. Mit dem Auto bist du flexibel. Wenn du zehn Minuten Verspätung hast, ja gut, dann kommst du halt zehn Minuten später an. Aber wenn du mit dem Bus zehn Minuten hast, verpasst du deinen Anschluss, und du kommst unter Umständen eine Stunde später nach Hause. Und das finden Pendler nachvollziehbarerweise nicht wahnsinnig lustig. Das ist etwas, was wir lösen müssen, sonst haben wir nur noch mehr Autos auf der Strasse.»
«Die S-Bahn ist schlicht und einfach eine notwendige Grundlage. Ohne das müssen wir auch nicht über irgendwelche Hoch-, U- oder Trambahnen nachdenken. Aber wir brauchen sicher noch viel mehr: Wenn die Zentren Menschen und dem ÖV vorbehalten wären, bräuchte es beispielsweise wieder Umfahrungsstrassen für den Individualverkehr.»
«Wir reden jetzt immer nur vom Verkehr, was aber ist mit der Umwelt? Da muss man auf den Bus oder sogar die S-Bahn setzen – wo da jetzt der Bus und wo die Bahn sinnvoller wären, müsste man prüfen. Aber in Zeiten des Klimawandels sollte der Verkehrsfluss nicht mehr das einzige Thema sein, das bei solchen Entscheidungen berücksichtigt wird.»
«Wie viele Leute am Morgen mit dem Auto nach Vaduz hineinfahren, kann möglicherweise auch über das Portemonnaie reguliert werden. Es gibt einige Städte wie London oder Singapur, die Strassenzoll haben. Wenn es einen Parkplatz für jeden gibt und es nichts kostet, zu den überlasteten Zeitfenstern ins Zentrum zu fahren, dann scheint die Suche nach Alternativen noch nicht so zu drängen. Meines Erachtens wäre das auch ein möglicher Ansatzpunkt: Einmal weniger von etwas zu machen anstatt etwas Neues dazu.»
«Ich finde es gefährlich, wenn wir von der heutigen Situation ausgehen. Das mag schon sein, dass wir heute ein bisschen wegen diesen 10 Minuten stöhnen. Aber wenn wir einmal schauen, wie wir uns entwickeln: Wir haben in den letzten zwei Jahren pro Jahr über 1’000 Arbeitsplätze geschaffen. Es gibt im Moment überhaupt kein Indiz, dass sich diese Entwicklung verlangsamen wird. 85 bis 90% dieser neuen Arbeitsplätze haben wir mit Leuten aus dem Ausland besetzt. In fünf bis zehn Jahren werden wir wirklich ein Problem haben. Und wenn ich schaue, wie lange politische Prozesse dauern können, dann darf man diese Entscheidung in meinen Augen nicht auf die heutige Situation abstellen, sondern muss antizipieren, was passieren wird. Von der Politik erwarte ich mir hier konkret, dass sie endlich einmal vorausdenkt: Was ist in 10, was in 20 Jahren?»
«Unser Staat plant nur immer von einem Jahr zum nächsten. Wir überlegen uns eigentlich nur, welchen Trottoirrandstein wir gerade reparieren, ob wir den Tunnel in Malbun 20 cm tiefer oder weniger tief machen. Das ist unsere Verkehrsplanung!»
«Im Landtag haben wir letztens den Bau eines neuen Gebäudes für die Landesverwaltung behandelt. Der Bau kostet jetzt dann rund 40 Millionen. Die beiden Tiefgaragenstöcke kosten dabei rund 7.5 Millionen. Jeder Parkplatz kostet dort 80’000 Franken. In einem Gebäude für die Landesverwaltung bauen wir für jedes Büro, für jeden Arbeitnehmer, einen separaten Parkplatz. Wir sind völlig auf dem Holzweg, aber das wird noch immer kommentarlos durch den Landtag geschickt. Das ist in meinen Augen eine Katastrophe.»
«Wenn wir es vom hausgemachten Verkehr haben: Wir Liechtensteiner haben oft das Gefühl, wir müssten wegen drei Kilometer ins Auto sitzen. Dabei sehe ich beim Thema Radverkehr noch extrem viel Nachholbedarf. Schaan hat diesen Grosskreisel, der relativ neu ist. Aber ich weiss nie, wo ich mit dem Rad jetzt fahren soll. Bei unseren Planern scheint einfach noch kein Bewusstsein da zu sein, dass es für die Radfahrer eine eigene Spur oder gezeichnete Wege braucht.»