Quartiergänge
Wo liegt das schönste Quartier im Land? Am Samstag rücken wir das Quartier als Lebensraum ins Visier. Wir gehen gemeinsam der Frage nach, welche Rolle das Quartier in den heutigen Dörfern Liechtensteins spielt. Anhand der Bildgass schauen wir uns an, wie sich ein Feldweg in ein paar Jahrzehnten zu einem Wohnviertel entwickelt hat. Ausserdem erzählen wir euch von den Interviews mit Anwohnerinnen und Anwohner. Sie haben uns im Vorfeld geschildert, wie sie ihren Lebensraum heute empfinden und wie sie die Entwicklung dahin erlebt haben. Auf einem gemeinsamen Spaziergang durch die Bildgass sammeln wir Meinungen, Wünsche und Ideen, was ein Quartier im Dorf von morgen sein und wie der Weg zu unserem Traumquartier aussehen könnte.
«Am Anfang hat man die Nachbarn zum Fest eingeladen, damit sie keine Lärmklage einreichen. Daraus haben sich teilweise sehr freundschaftliche Beziehungen entwickelt. Jetzt gibt es zweimal im Jahr ein Quartierfest. Viele Nachbarn freuen sich zu kommen und es findet wirklich ein Leben im Quartier statt an diesen beiden Tagen. Angenehme Begleiterscheinungen sind dann so kleine Sachen wie beispielsweise, dass es im Herbst immer Most vom Nachbarn gibt.»

«Wir sind vor 46 Jahren nach Planken gezogen. Damals hatte Planken 150 Einwohner und war weitgehend ein Strassendorf. Nach der Melioration ist Planken ziemlich ausgeufert – die Nebenstrassen haben dann ermöglicht, dass man Bauplätze kauft und bebaut hat – inzwischen sind wir bei ca. 470 Einwohnern. Wir haben in unserer Strasse auch schon Quartierfeste gehabt, aber das ist dann wieder versandet. Mit den nächsten Nachbarn hat man Kontakt, geht die Post leeren und solche Dinge. Jetzt haben wir das Projekt einer Dorfbeiz im Dreischwesternhaus, weil wir keine Beiz mehr hatten. Wir haben jeweils am Freitagabend die Beiz offen und es kommen 40 bis 80 Leute. Unsere Nachbarn kennen wir jetzt gut, weil wir uns in der Dorfbeiz treffen. So entsteht eine Dynamik und ein Kontakt. Dort spürt man das Bedürfnis, wieder miteinander zu reden und sich zu sehen – das ist sonst auch in Planken verloren gegangen und auch insgesamt nehme ich diese Tendenz landesweit als Problem wahr.»

«Ich wohne in einem von vier Reihenhäusern. Wir haben keine Mauern im Garten, es gibt also nur ein Garten für vier Häuser. Vorher, als wir hinzogen, war das Quartier noch lebendiger, weil wir zwei originelle Familien in nächster Nachbarschaft hatten. Der eine war der Adolf Hermann, der war ein bisschen ein Chaot, der das Quartier stark prägte. Wo früher sein Miststock und seine alten Autos ihr Dasein fristeten, steht jetzt ein Block. Damit ist es anonym geworden. Retrospektiv finde ich es interessant, dass eine Person eigentlich das Gefühl für ein Quartier geben kann. Dass ein chaotischer Bauer und seine Schwester so prägend sein können. Damals hatte man das Gefühl, man lebe in einem Quartier – wohl auch, weil die so öffentlich gestritten haben.»

«Also ich habe das Gefühl, ich wohne an einem Ort, ich kenne ein paar Leute, aber das Gefühl, dass ich geborgen bin in einem Quartier, habe ich nicht. Meine Umgebung ist ziemlich anonym.»

«Als Kind hatte ich das Glück, dass es im Nachbarsquartier ganz viele Gleichaltrige gab. Als ich nach meinen Studienjahren zurückkam, waren alle ausgezogen. Die Eltern sind noch dort — aber Quartiersleben gibt es keines mehr.»

«Wenn wir hier in Schaan auf den Spielplatz gehen, fällt mir oft auf, dass kein Mensch dort ist und es immer leer ist. Wenn wir in Zürich auf einen Spielplatz gehen, hat es dort etwa 30 Kinder und die haben dann ein riesen Fest.»

«Jetzt lebe ich in einer Wohnung, also nicht mehr in einem Haus, das mir gehört. Und weil ich weiss, dass ich nur eingemietet bin, schafft das einen ganz anderen Bezug zur Umgebung. Es ist einfach nicht mehr dasselbe: Ich habe keinen Garten mehr. Ich weiss, dass, wenn ich irgendetwas hinauspflanze, ich alles ausreissen muss, wenn ich wieder gehe. Das ist so etwas – ich kann nicht so richtig Wurzeln schlagen, wo ich wohne. Jetzt sitze ich halt auch ins Auto und fahre am Morgen zur Arbeit, komme am Abend heim und gehe wieder in die Wohnung – und habe in dem Sinne nichts mehr mit dem Quartier zu tun.»

«Rückblickend denke ich weniger an das Quartier als an die Strasse. Nur schon die nächste Querstrasse hat nicht mehr zu uns gehört. Man ist dann schon auskundschaften gegangen, aber wo man gespielt und die Leute gut gekannt hat, das war unsere Strasse.
In allen Gärten ist man gewesen, ein Bauer oder zwei in der Nähe, es war wirklich ein Quartier, wo man als Kind überallhin gehen konnte. Blöcke gab es damals noch keine.»

«Dort, wo jetzt das Schwimmbad ist, gab es einen Fussballplatz, wo wir Fussball spielen gingen. Nach der Maiandacht ist man zusammen geblieben und hat im Falknis gevölkert - es hat einfach noch Räume gegeben, freie Räume, wo man Fussball spielen oder einfach sein konnte. Und ich glaube, diese Rituale, wie die Maiandacht, das war auch ein Grund, um zusammen zu sein: Dann hat man bleiben dürfen, weil man ja in der Kirche war. Vielleicht fehlen solche Rituale und Gelegenheiten, wo man wieder zusammenkommt.»

«Für mich war sicher prägend, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft gearbeitet worden ist. Der Bauer hatte Kartoffeln und Vieh, das hat ein wahnsinniges Leben hineingebracht. Direkt auf der anderen Seite war das Schlachthaus, das war für uns so etwas Normales.
Man hat die Leute arbeiten gesehen, ist hineingegangen, hat herumgewundert, zugeschaut und geholfen. In den Quartieren gab es noch Arbeitsplätze. Also Arbeitsplätze, wo man gesehen hat, was die Leute tun. Wenn heute noch ein Arbeitsplatz im Quartier ist, sitzt höchstens jemand in einem Büro an einem Computer. Da erlebst du als Kind natürlich wenig Spannendes. Und hinein darfst du auch nicht.»

«In meiner Wohnung in Vaduz fuhr ich mit dem Auto in die Garage, dann ging ich fünf Meter zum Lift, fuhr damit in meinen Stock und schon war ich wieder in meiner Wohnung. Meine Nachbarn habe ich dann und wann im Lift getroffen. Einen, weil er Abwart war, öfter. Mit ihm habe ich vielleicht zehn Sätze im Jahr gewechselt. Das fängt ja schon beim Haus an…»

«In Schaan gib es jetzt eine riesige Anstrengung der Gemeinde, das Zentrum zu beleben – und das funktioniert recht gut. Das Schaaner Zentrum und die Aktivitäten dort kosten eigentlich ein Vermögen, da wird ganz viel investiert. Sicher bräuchte es auch dort Impulse, aber vielleicht wäre es auch eine Überlegung wert, statt immer nur das Zentrum einmal einzelne Quartiere zu beleben.»

«Eine Bank hinstellen alleine reicht nicht, du brauchst jemanden, der das aktiviert. Aber wenn du sagst, die Gemeinde unterstützt jene, die auf das eigene Grundstück eine öffentliche Bank stellen, würde man darüber zumindest eine Diskussion darüber anstossen, was diese Bänke eigentlich sollen und wer einen Beitrag dazu leisten könnte. Ich könnte mir schon vorstellen, dass das etwas auslösen würde.»

«Der Mausi ist jetzt so ein Ort in Schaan, wo die Leute zusammenkommen. Es könnte ja mehrere solche Orte geben. Aber wieviel Mausis braucht ein Dorf? Kann man in jedes Quartier einen Kiosk stellen?»

«Auf der Deponie in Schaan trifft man ja sehr viele Leute. Wenn jetzt die Deponie noch ein Nebengeschäft haben dürfte, wo man Kaffee ausschenken würde, könnte ich mir gut vorstellen, dass das funktionieren würde.»

«Die Deponie finde ich auch noch ein interessantes Beispiel, weil es etwas aktiviert, was schon da ist: Die Leute treffen sich dort schon und wenn noch drei Stühle und eine Kanne Kaffee dort stehen würde, würde das vielleicht reichen, um aus einer funktionalen Wertstoffsammelstelle einen neuen Treffpunkt werden zu lassen. Und das ist etwas anderes, als einen Kiosk bauen zu müssen. Vielleicht müsste man zuerst wirklich einmal analysieren, wo es bereits Treffpunkte gibt und was es als minimale Intervention bräuchte, um das als Treffpunkt zu institutionalisieren.»